Rede zur Ausstellungseröffnung "10 Jahre Offene Ateliers“ - Gemeinschaftsausstellung im Studio Wasserscheune
von Tina Fibiger


Herzlich willkommen in der Wasserscheune

Die Wasserscheune war schon immer ein Ort für Korrespondenzen. Es gibt diesen wunderbaren Dialog zwischen Innenwelt und Außenwelt, wo der Blick in den Garten und die oft so vorwitzig sprudelnden kleinen Wasserfontänen immer auch Auswirkungen darauf haben, wie die Kunst an den Wänden wahrgenommen wird.
Sonnige Lichtreflexe und Schattenspiele mischen sich in die Betrachtung von Bildmotiven und Skulpturen ein und dann natürlich das Innenleben der Wasserscheune selbst. Der gläserne Erker, die Fachwerkbalken, kleine Fensternischen, der Kamin und das riesige Tor zur Straße. Das geschieht erst recht in der obere Galeriegasse, von der man quasi auch ein bisschen von oben herab und eben anders auf die Motiven vis à vis angesprochen wird, um dann unter dem Dach weitere Sehrefugien zu erkunden.

Als Ort der Korrespondenzen ist die Wasserscheune so auch zum idealen Schauplatz für die Korrespondenzen geworden, die bei den offenen Ateliers gesucht sind. Die Verständigung der Künstlerinnen und Künstler untereinander, sei es über unterschiedliche Themen, Techniken und Ausdrucksformen. Und dann auch das Gespräch mit den Besucherinnen und Besuchern, die sich demnächst wieder an zwei Wochenenden auf diesen kreativen Parcours im Göttinger Land begeben.
Die Gemeinschaftsausstellung heute und morgen steht unter besonderen Vorzeichen: Mit dem 10jährigen Jubiläum der offenen Ateliers und der erneuten Aufforderung, möglichst viele Werkstattbesuche zu machen, sich auch in den abgelegenen Ateliers umzuschauen und weitere künstlerische Handschriften kennenzulernen. Doch dafür braucht es kein gemeinschaftliches Jubiläumsthema. Es gibt so viel aktuellen Gesprächsstoff, der sich in Bilderzählungen, Zeichnungen und Skizzen mitteilt und in Skulpturen, Stoff- und Schmuckkreationen zum Ausdruck kommt. Das Faszinierende daran ist, dass sich die Arbeiten hier noch einmal wechselseitig inspirieren und der Betrachter dabei auf ganz unterwartete Sehwege gerät.

Da führt die Landschaftsodyssee von Imke Weichert an diese aufmunternden Häusermeere von Folke Lindenblatt, während daneben die Gesichtslandschaften von Hiltrud Esther Menz ebenso geduldig verharren, wie das kontemplative Szenario von Helga Reimann über Alterspuren in seinen rostroten Einfärbungen oder die steinerne Wellenbewegung von Hella Meyer-Alber.

Von fern auf dem Galerieparcours locken bereits intensive Farbkräfte, ein aufrührendes Szenario über Lebensstationen und ihre Vergänglichkeit, kreisende und fließende Farbgesten, eine Vision in Pastellklängen und eine Pflanzenfantasie. Im gläsernen Erker sind es dann die leuchtend roten und die verspielten Filzkreation oder diese skulpturale Stimme, auf der die Sonne die farbigen Verwerfungen des Steins leuchten lässt.
Schon jetzt zeigt sich das besondere harmonische Einverständnis der Künstlerinnen und Künstler in den vielen stilistischen Kontrasten und Gegensätzen, die alle zu dieser besonders vielstimmigen Atmosphäre beitragen, für die Gabriele Schaffartzik, Imke Weichert und Folke Lindenblatt bei der Hängung wieder Filigranarbeit geleistet haben.

Keine der Arbeiten muss sich mit einer abseitigen Nische zufrieden geben. Und auch wenn es in der Wasserscheune diese verborgen anmutenden Winkel gibt, melden sich von dort die Motive ebenso eindrücklich und offen zu Wort und werden in diese belebende Korrespondenz verwickelt, die hier im Erdgeschoss der Wasserscheune beginnt: Mit einem wunderbaren Schauspiel über den kreativen Dialog.
Der Stelenpark ist ein gemeinsames Projekt von Sabine Tippach und Christa Schmets, die mit Glas und Ton, Handgeschröpftem Papier und Paperclay diese anmutigen kleinen Preziosen gezaubert haben. Zum Staunen, auch über das schöpferische Staunen der beiden Künstlerinnen, mit dem sie dann auch in den Materialien eine besondere Zartheit frei setzen. In schlichten Gefäßen, verzierten Kugeln und Schalen. Als schmückendes Beiwerk, das im Grün von Gräsern eingefärbt wurde, in Gestalt von Blütenblättern- und Kränzen oder einem meditativen steinernen Stillleben.

Die inspirierende Energie, die dieser Stelenpark ausstrahlt überträgt sich unmittelbar auf die malerische und skulpturale Umgebung. Sei es ein Farbsignal, das nun in einem ganz anderen Kontext anklingt, in der Harmonie einer filigranen Gräserlandschaft oder in einer Formbewegung die auch in einer Galerie von Alltagsbeobachtungen nachwirkt. Sie sind auf ihre Weise malerische Gesprächsnotizen von Begegnungen im städtischen Getümmel, die sich auch mit den gegenber liegenden Häuserzeilen verständigen. Die verhalten sich nie so ganz still, wie sie da übereinander geschichtet wurden und mit ihren farbigen Silouetten auch die Wasserflächen aufmuntern. Fast so, als ob sie dabei ins Schunkeln geraten.
Man könnte von einem Raum der belebenden Unruheherde sprechen, auf den sich die Arbeiten hier quasi zwischen den Zeilen und vielleicht auch mit einem Augenzwinkern verständigt haben. So als ob sie gespannt sind, wann die Besucher wo innehalten, dann erneut ihrer Neugier folgen oder einfach wieder umkehren für eine vertiefende Ansicht oder auch Einsicht.

Gabriele Schaffartzik, Imke Weichert und Folke Lindenblatt haben bei der Hängung auch sehr viele kontemplative Spuren gelegt, so dass sich bewegende und andächtige Motive immer wieder kreuzen, in denen die Sujets oszillieren und die Gedankenbilder, die bereits in nächster Nähe eine andere Deutung oder Betonung erfahren oder stilistisch anders befragt werden.

Das ist auch in der Dachetage der Fall, wo der Blick nicht auf die Option von großzügigen Sichtachsen vertrauen kann, die mit weiteren Sehperspektiven locken und den Wahrnehmungshorizont immer wieder in Bewegung versetzen. Sie wird zum Raum für die besonderen Nahaufnahmen, wie sie Zeichnungen, Skizzen und Buchillustrationen ansprechen. Hier können Seelenlandschaften in aller Ruhe mit der Ansicht von Gebäuden, architektonischen Gesten und eine Trio graziler Gestalten korrespondieren und werden darin von diesem sinnlich kraftvollen Tableau aus Gräsern und schimmernden Tropfen bewegt. Ebenso von diesem gläsern anmutenden Mosaik, das an eine Landschaft bunter Steine denen lässt, die hier eine luftig leichte Pastellstimmung erfahren.

Auch diese kontemplativen Impressionen haben Folgen für eine erneute Begegnung mit den Bildern und Skulpturen, die sich auf dem Weg zurück in die offenen Galerieregionen der Wasserscheune quasi wieder in den Weg stellen. Lauter inspirierende Stolperfallen, die jetzt noch einmal anders betrachtet werden wollen. Als Studie oder Stillleben vielleicht sogar noch etwas energischer, fordernder und als anregend beunruhigendes Szenario jetzt doch eher andächtig kontemplativ.
Aber vielleicht ist jetzt auch erst mal ein Abstecher in den Garten fällig, mit dieser Skulpturenlandschaft im Grünen, wo kreative Unruheherde ebenfalls auf meditativ anmutende Konfigurationen und Kompositionen und ihre bewegenden Signale treffen.
Man kann mit allen Arbeiten in dieser Gemeinschaftsausstellung so wunderbar für sich sein und im Gespräch mit ihnen auch den Eindrücken zusehen, wie sie unterwegs anecken, sich überlagern oder einander zustimmen. Auch deshalb braucht dieses kreative Treffen zum 10jährigen Jubiläum der offenen Ateliers kein gemeinsames Thema oder Leitmotiv. Es kursiert ja an diesem Wochenende in der Wasserscheune ganz offensichtlich in allen Facetten einer künstlerischen und kunsthandwerklichen Korrespondenz, die ganz unmittelbar belebt und beflügelt. Auch als Einladung zu möglichst vielen Streifzügen durch das kreative Göttinger Land.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Tina Fibiger

Erbsen, 20. August 2016