Gemeinschaftsausstellung Offene Ateliers 2018

Meine Damen und Herren, liebe Künstlergemeinschaft

Es ist mir eine besondere Freude, mit Ihnen durch diese Gemeinschaftsausstellung zu flanieren, die uns heute und morgen auf die beiden offenen Atelierwochenenden im September einstimmt. Die Aussichten sind umso reizvoller, nachdem es 2017 quasi eine Kunstpause gab, weil die offenen Ateliers künftig im Zweijahresrhythmus stattfinden und in der Zeit natürlich neue Themen und Motive hinzugekommen sind. Andere wurden vertieft oder mit weiteren Materialien kombiniert. Hinzugekommen sind Zeitstimmen, Nachrichten und Ereignisse, die auch in der künstlerischen Reflektion zum Ausdruck kommen wollen und in dieser Gemeinschaftsausstellung miteinander korrespondieren.

„Für die mit der Sehnsucht nach dem Meer“ dachte ich spontan, als mir die Arbeiten gestern in der Wasserscheune zum ersten Mal entgegen leuchteten. Mit dieser blauen Landschaft von Thomas Deisel, in der es zwischen grünen Inselketten fließt und strömt und wie sie diese bewegende uferlose Weite behaupten. Und dann mit diesem Strandrefugium von Imke Weichert, auf dem es ein bisschen wetterwendisch zugegangen sein muss… so als ob hier ein Kräftemessen von Wind und Salz und Regen seine Spuren und seine farbigen Spiegelungen hinterlassen hat. Auch der lichtblaue Unruheraum, in dem sich bei Hiltrud Esther Menz die Farbstimmungen aufbäumen und Gestalt annehmen, lässt an Wellenbewegungen denken. Selbst wenn der Titel „gen licht“ hier auf einen ganz anderen Gedanken- und Assoziationsweg deutet.

Bei Agnes Gerken-Lüllmann ist die Sehnsucht nach dem Meer, die auch mit der Sehnsucht nach Weite, Offenheit und dem ungehinderten Fluss der Dinge übersetzen lässt, malerisch gestrandet. Mit Absicht und mit dieser Sicht auf die frühere Festung Helgoland und ihre kriegerische Geschichte, wo sich die gelben Farbkräfte wie Betonsäulen in den tiefblauen Wasserhorizont stemmen. Die Sehnsuchtsorte und was sie dann bedrängt, sind ja keineswegs immer an Blaustimmungen gebunden. So wie diese skulptural anmutende blaue Rose von Christa Maletzki oder diese ozeanische Weite, die sich bei Folke Lindenblatt bis in die Uferregionen hinein verströmt. Sie werden in den Erdfarben erfahrbar, die Tamara Wahby in ein berührendes Panorama steinerner Inseln verwandelt hat. Und in den harmonisierenden Energien, die Hella Meyer-Alber mit dem Stein in ihrer „Dreistrom“ Skulptur wirksam werden lässt. Man möchte sich mit Christa Morgensterns Aquarell in eine idyllische Flusslandschaft hineinträumen, die sich in einen Gebirgszug hinein gegraben hat und dann die sonnige Wärme zwischen den gelben Farbströmungen und Wirbeln von Petra Niederlein-Seufert genießen.

Die besondere Korrespondenz zwischen drinnen und draußen macht die Wasserscheune zu einem Ort, an dem die unmittelbare Umgebung nie weg geblendet wird. Der Blick nimmt immer auch die Gartenlandschaft wahr und so lassen sich die ausgestellten Arbeiten wie Teile einer Bildlandschaft betrachten, in der ständig etwas am Wachsen und austreiben ist, sobald es hier an einer der Wände hängt oder auf einem Sockel in steinernen Verfärbungen sichtbar und berührbar wird. Auch im Sinne einer Lebenslandschaft.

Der schöne und so beschwingende schöne Schein, der aus vielen Motiven spricht und auch die Zartheit in der Modulation der Farben täuscht keineswegs. Aber er korrespondiert eben auch mit dem, was ihn anhaltend gefährdet und was da an zerstörerischen Kräften global wütet. Auch gegen die Blütenträume eines Flamingo Paares oder die urzeitlichen Relikte, die Gabriele Schaffartzik in Gestalt einer Echse in eine vermeintliche Kulturlandschaft mit Stauden und Gewächsen verpflanzt hat, die von einer Lichterkette durchkreuzt wird und dennoch seltsam menschenleer anmutet.

Natürlich lässt sich hier beim Anblick von malerischen, fotografischen und collagierten Sehnsuchtsorten und ihren Verwerfungen der Gedanke an die drohende Klimakatastrophe und ihren geopolitischen Kontext nicht wegblenden. Auch wenn ihn die Künstlerinnen und Künstler hier nicht unmittelbar fokussieren. ln ihren Arbeiten spiegelt sich das gegenwärtige Klima gleichwohl in vielerlei Hinsicht und das nicht nur, was die ökologischen Aussichten angeht.

Es geht auch um den mentalen und emotionalen Zustand einer Gesellschaft, wo der demokratische Dialog sich zunehmend radikalisiert und die Verständigung über Unterschiede, Gegensätze und Kontraste auf der Strecke bleibt. Und da kommt es in dieser Ausstellung zu unmittelbaren und auch sehr subtilen Statements, vor allem auf der Galerieetage und unter dem Dach der Wasserscheune, die sich produktiv widersprüchlich reiben und assoziative Signale senden. Für das Bild von einer „gelungenen Integration“ lässt Ines Lehmann Schafe auf einer Glasplatte weiden und die Sammlung kleiner Ginkos erinnert an einen bieder geordneten Vorgarten. Spannend ist der Kontrast hin zu Käthe-Charlotte Sablotzki-Weises Industrielandschaft und ihrem Aufgebot an konstruktiven Verstärkungen und Verstrebungen…wie da die technische Welt ihre lautstarke Betriebsamkeit demonstriert. Karin Handke treibt die martialische ökonomische Erfolgsstrategie, wie sie die Teilnehmer des G20 Gipfels eint, auf ihre zerstörerische Spitze. Sie lässt dafür die kantig starren Farbfeldern aufeinanderprallen, als ob sie sich dabei noch weiter antreiben. Wie anders mutet dagegen das malerische Statement von Anna Dianda an, die ihre bewegenden Farbfigurationen gerne ein Refugium gönnen würde: „Ich kann nicht aus meinen Schuhen heraus und würde doch gern die Zeit anhalten, während Staubpartikel wohlig in der Sonne tanzen.“. Das haben die Figuren aus Glasgusskeramik sicherlich nicht im Sinn, die Christa Schmets auf einer Glasfläche zu „internationalen Gesprächen posieren lässt. Wie sie die Arme demonstrativ erheben und anwinkeln und standfest auf den Markierungen einer Weltkarte herum trampeln.

Wie schon in den vergangenen Gemeinschaftsausstellungen fasziniert die Art und Weise, wie Gabriele Schaffartzik, Folke Lindenblatt und Imke Weichert hier 50 unterschiedliche Künstlerstimmen miteinander ins Gespräch bringen, ihre stilistischen Gegensätze und Korrespondenzen in den Farbstimmungen, den Motiven oder auch im malerischen und gestalterischen Gestus. Die Ausdruckskraft der Materialien und der Techniken beflügelt diesen vielstimmigen Dialog, wo Fotodrucke und Collagen, Arbeiten mit Stoff, Stein und Metall immer wieder zu Projektionsräumen zusammen finden, in denen der Betrachter zum gedanklichen Flaneur wird.

Sie finden sich auch in der Dachetage, diese Sehnsuchtsorte, die im Erdgeschoss so oft in die Nähe von Wasserwelten führen und lassen ahnen, welchen Gefährdungen und Zumutungen sie ausgesetzt sind. Erneut begegnen sich hier die Kontraste und die Widersprüche. Etwa bei einem Stadtbummel, an dem Janina Fiorin ihre Figuren wie an einem beschwingenden Stillleben teilhaben lässt. Die ländliche Idylle unmittelbar daneben mit der Ansicht auf ein illustres historisches Gebäude wird durch den Titel „Illusion“ unmittelbar gebrochen. Und Alois Goldmann macht sich dann seinen nachdenklichen malerischen Reim auf die Primatengalerie, die er zur „ schrecklich netten Familie erklärt. In der Dachetage sind allerdings auch ein paar verrückte Zausel umtriebig, die Andreas Kulpe in seiner Collage „Waldfee und Kobolde“ vereint. Auf dass sie heiter, listig und sicher auch ein bisschen märchenhaft magisch verspielt den berechenbaren Lauf der Dinge aufstören. Daneben blüht ja bereits auf einem Baumstamm der Filz zur Hortensie auf.

Das Auge, das Annemarie Prell ihrer Figur in den Körper implantiert hat sieht mit Sicherheit mehr als der flüchtige Blick der Stadtbummler. Vielleicht weiß es auch etwas mehr von der drohenden Furcht, die Christiane Christen mit ihrem Flüchtling verbindet, den gerade die Panzer verfolgen. Und vielleicht ist dieser flammend rote Blätterwelt von Maria-Ana Dorgatz dann für ihn ein Sehnsuchtsort. Ebenso mag es sein dass die Menschen, von denen Bernhard Preis in seinen Kuba Portraits und Stadtansichten erzählt, diese Sehnsuchtsorte bereits in sich tragen, vermutlich gerade fern vom Meer.

Sie werden als Betrachter sicherlich noch viele weitere Projektionsräume entdecken. Es ist das was diese Gemeinschaftsausstellung wieder zu einem ganz besonderen Erlebnis macht, dass sie die Wahrnehmung so vielschichtig beflügelt und assoziativ gedanklich bereichert. So wie auch dieses leuchtende Objekt von Frank Thiele mit dem faszinierenden Netzwerk aus Linien und Fäden, die hier miteinander versponnen wie Hirnströme anmuten oder wie überaus umtriebige Nervenbahnen, die ständig pulsieren und aufblitzen. Auf dass es ihnen beim Flanieren durch die Wasserscheune ebenso ergeht. Vielleicht auf der Suche nach einem Sehnsuchtsort und in der Entdeckung einer Fülle von Lebenslandschaften, denen sie hier begegnen. Mit diesen vielen eindrucksstarken Künstlerstatements, die unsere unmittelbare Gegenwart meinen. Unseren alltäglichen und besonderen Lebensalltag.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Tina Fibiger
Erbsen, 25.August 2018